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der Bundesrepublik Deutschland vorweisen können. Die überwiegende Mehrzahl kommt aus Rußland, dem Banat und Ostpreußen. Die Bewohner der Colonia Dignidad sind allesamt evangelischfreikirchlich. Daher haben Sie, Herr Frenz, auch Ihre Schwierigkeiten mit einem ökumenischen Gottesdienst gehabt.

(Frenz: Nicht nur daher!) -

Von daher kann man es schon erklären. - Nur bei einem früheren Bewohner konnte ich erfahren, nämlich Herrn Kuhn, daß er ehedem katholischen Glaubens war.

Colonia Dignidad ist demnach keine Sekte im Sinne einer eigenen Religionsstiftung. Eine eigene Kirche zu haben gehört jedoch zu den soziologischen Bedingungen einer Sekte. Die Colonia Dignidad ist vielmehr eine verselbständigte Absonderung, eigentlich, wenn man so will, eine Basisgemeinde, die aus der Spontaneität heraus leben möchte. In solchen Gruppen, die sich von einer größeren kirchlichen und staatlichen Gemeinschaftlichkeit absondern, ist nun einmal und überall der erhöhte tiberlebenszwang gegeben, den wert- und rechtsfreien Raum, den solche Siedlungsgemeinschaften haben, durch eine ideologisierte Erkenntnisverdichtung auszufüllen. Ernst Troeltsch und Paul Tillich, die beiden evangelischen Religionsphilosophen, haben bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts darauf hingewiesen, daß sich solche Kleingruppen nur durch den Drang nach dem Unbedingten erhalten können; ein psychologischer Vorgang, der durchaus sektenhafte Züge annehmen kann.

Alle Erfahrungen über die Entwicklung solcher Siedlungsgemeinschaften zeigen mittlerweile, daß dem religiösen Ursprungsmotiv der Freikirchlichkeit keine Festigkeit innewohnt. Doch die Mobilisierung einer ausgezehrten religiösen Substanz - das scheint mir in der Colonia Dignidad gegeben zu sein - erbringt dann in der Colonia Dignidad so agitatorische Formeln wie "Arbeit ist Gottesdienst“ oder "Sünde ist, wenn man vor Paul Schäfer Geheimnisse hat“. Siedlungagemeinschaften gedeihen dagegen besser, wenn ein religiöses Modell nicht als Ideologie mißbraucht werden kann. Ich darf ein Beispiel anführen: Die