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Dann habe ich einen ganzen Tag auf dieser Flucht in einem Graben gelegen, um mich vor meinen Verfolgern zu tarnen und nicht entdeckt zu werden. Ich bin dann erst in der nächsten Nacht in Termas Tecatiu aufgetaucht und habe dort in einem Lokal - Herr Hopp wird jetzt wahrscheinlich sehr lange Ohren kriegen; das weiß er nämlich alles noch nicht - mit chilenischen Bewohnern des Dorfes Kontakt aufgenommen - mit den wenigen Sprachkenntnissen, die ich hatte - und habe dort zum erstenmal nach der langen Zeit von vier Jahren begriffen, was Nächstenliebe ist; denn diese Leute sind mit einem Hut in der Kneipe herumgegangen. Die hatten mich gesehen, wie ich zerschunden war. Ich muß das einmal ein bißchen beschreiben.

Auf der anderen Seite des Perquilauquen sah ich mich plötzlich eingegrenzt von einer vier bis fünf Meter hohen Brombeerhecke. Diese Hecken wuchern in Chile wie Unkraut. Diese Hecke versperrte mir sämtliche Wege. Die einzige Flucht, um mich vor den Hunden zu retten, bestand darin, daß ich mich rückwärts in eine vier Meter hohe Brombeerhecke schmiß. Und als ich da auf der anderen Seite wieder herunterkam, sah ich aus wie Jesus Christus nach der Kreuzigung. In dieser Aufmachung bin ich in die Kneipe in Termas Tecatiu gekommen. Ich brauchte eigentlich nicht mehr viel zu erzählen. Das Wort "Dignidad“ war bei den Leuten auch schon nicht mehr unbekannt. Ich habe dort eine menschliche Solidarität bekommen, die mir im Grunde genommen mein Leben qerettet hat. Die Leute haben gesammelt, haben mich nach Parral gebracht. Ich bin in Parral mit der normalen Eisenbahn nach Santiago gefahren. Es waren 400 km. Auf Grund meines Aussehens habe ich mich nicht unter die normale Bevölkerung im Zug getraut, sondern habe zwischen den Zügen, auf dem Tender, auf der Plattform, gestanden, weil ich mich schämte, zwischen den Leuten zu sitzen.

In Santiago habe ich mich an die Botschaft gewandt und habe ihr einen Bericht gegeben. Die Botschaft hat sofort gehandelt und hat mich vor den Häschern, so muß man sagen, in Sicherheit gebracht. Selbst dort hat man versucht, mit 15 Leuten mehrere Tage lang mich zu fangen.